Wladimir
Eisner geb. 1947 in Russland (Gebiet Omsk). War viele Jahre als
Berufsjäger im nördlichsten Norden Sibiriens tätig.
Mitglied einiger Expeditionen zum Nordpol. Mitglied der
inter-nationalen Forschungsexpedition „Mammuthus". Mitglied des Literaturkreises der Deutschen aus Russland. Als Schriftsteller, Journalist und Übersetzer bekannt. Publiziert in russischer und deutscher Sprache in verschiedenen Medien. Mehrere Literaturpreise. |
„Ja, grün ist die
Heide,
Die Heide ist grün.
Aber rot sind
die Rosen,
Wenn sie da blüh`n!“
Hermann
Löns. „Einen ganzen Sack Fische
hat der gegen`nen
Blumenstrauß eingetauscht?“ „Wenn ich`s dir doch sage!“
„Hast du schon so einen
Wasserkopf gesehen?“ Alles lief zusammen, doch
der „Dummerjan“
verschwand schon in dem nächtlichen Gewühl des Flugplatzes.
Noch von hinten sah
man ihm an dass er ganz und gut mit sich selbst zufrieden war. Blumen aus Moskau! In
knisterndem Zellophan.
Duftende, zarte, frische Nelken. Hoffentlich würden sie die Reise
überstehen...
Bei sich im Arbeiterwohnheim angekommen, ging Sascha in die
Rumpelkammer und
fischte einen ramponierten Stuhl hervor. Tante Dascha, die alte
Concierge,
beobachtete empört wie er die Lehne des Stuhles abbrach und den
oberen,
gebogenen Teil so unter den Anorak stopfte, das er sich wie der Busen
eines
kernigen Weibsbildes nach vorne wölbte. „Ach du, Gott im Himmel!
Schon am Vormittag
sternhagelvoll! Was soll das, du Wüstling? Pass auf, dass ich
nicht die Milizen
hole!“ Sascha lachte nur,
drückte der Tante Dascha
einen lauten Schmatz auf die schlaffe Wange und lief hinaus. Startete
das
Schneemobil. Schön ist`s dem
baßigen Dröhnen des Motors
zuzuhören, die Polarnacht mit dem Scheinwerfer durchbohren und
Meile für Meile
hinter sich in einer Schneewolke zu lassen! Kalt? Das schon, aber was
macht die
Kälte dem heißen jungen Blut? Keine Wege gibt`s hier, keine
Autos, keine
Ampeln. Nur das flackernde grüne Nordlicht und die Sterne
über dem Kopf. Gut zwei Ellen nach links
vom Polarstern – da
leuchtet ein besonders lieber Stern. Der „Tanja Stern“. Noch 400 km in
der
Richtung auf den „Tanja-Stern“, und da ist sein Jagdrevier, sein
Zuhause. Da,
auf der Türschwelle, steht Tanja und schaut nach Süden. „Also heute haben wir den
22 Januar... Um drei
Tage, am 25, feiert man nach dem orthodoxen Kalender den „Tatjana –
Tag“ und
gleichzeitig ist es Tanja’s Geburtstag. Wenn alles klappt, wenn nichts
passiert, komm’ ich zur rechten Zeit zu unserem Fest. Geheiratet – am
24
September. Also, eins, zwei, drei – schon vier Monate Eheleben. Wer
meint es
gäbe nur vier Flitterwochen, der hat nie geliebt. „Ich eil’, ich eil’, ich
eil’ zu dir, öffne,
Liebling, mir die Tür!“ Nach vier Stunden hob sich
der „Tanja Stern“ weit
nach oben und nach rechts und verschwand in der Morgendämmerung.
Ja, Morgenrot
gibt es, aber noch keine Sonne. Die steigt erst Anfang Februar auf.
Aber hell
ist’s, so hell, dass man die Scheinwerfer für eine geraume Zeit
ausschalten
kann. Als er zum Tukantscha –
See, dem Stützpunkt des
Fischers Nikolai ankam, war es schon wieder dunkel. Nach dem gemütlichen
Teetrinken sagte der
bejahrte Mann ernst: „Aber jetzt ruhen. Sich
gut ausschlafen. Was
willst du im stockdunkel draußen? Hast dich im vorigen Jahr schon
mal
verlaufen. Weißt du noch?“ „Es ist ja nur vier
Stunden lange hell. Es
reicht mir nicht aus bis zu Prokopij seine Hütte zu hinkommen...
Die Nacht
brauche ich noch, die Sterne...“ Und wenn der Wind – West?
Wolken...“ „Kenne mich schon gut aus
mit dem hiesigen
Wetter. Keinen Wind vom Westen soll es in diesen Tagen geben.“ „Hast deine Frau wohl
schon lange nicht mehr
gesehen?“ „`Ne Woche. Musste weg mit
dem Hubschrauber. Das
neue Schneemobil holen, und...“Sascha deutete auf den Tisch, auf dem
die Nelken
standen „Also, Blumen. 400 km weit durch die Polarnacht zu karren,
und noch dazu
allein...
Dummheit so was...“Nikolai nahm Saschas Feuerzeug und zündete sich
eine
Zigarette an, drehte das schöne Stück in seinen Händen
rum und legte es
schließlich neben den Ofen hin. „Und wenn was passiert?
Wie soll ich deiner Frau
unter die Augen treten? „Hast ihn alleine gehen lassen“ wird sie
sagen...“ „Das schaffe ich auch
wirklich allein. Und
überhaupt, wenn man alles so schwarzsieht, kann man sofort ohne
was zu tun aufgeben!“ ...Den Weg zu der Bucht
Bajkura-Neru, der
südlichen Bucht des Großen Taimyr Sees, kostete ihm fast
einen Tag. Mehr als
einmal nickte Sascha ein und legte den Kopf auf die Lenkung, solange
der Frost
es zuließ. In der Morgendämmerung erreichte er endlich die
Hütte des alten
einheimischen Jägers Prokopij. Niemand da... Nicht einmal
Hundespuren zu
sehen... Sascha schlug mit dem
Fuß gegen die
Benzinfässer. Leer... Hier könnte und musste man sich
ausruhen. Aber! Die total
ausgekühlte Hütte wieder
aufwärmen? Den
Ofen anheizen, an den See gehen, Eis brechen, Wasser auftauen, um
heißes Essen
und Tee zubereiten und einen ganzen Tag versäumen? Im Himmel neben dem
Tanja-Stern“ sah er
plötzlich das Gesicht seines Lieblings aufzutauchen. Sie
lächelte ihm entgegen
und der grüne Rauch des Nordlichts mischte sich in die blonden
Haare. Nein! Los! „Ich komm`, ich komm`, ich
komme bald zu meiner
Liebsten Heim!“ Lange fuhr Sascha auf dem
zugefrorenen Bachbett
dahin, wie auf Asphalt. Als aber am Horizont die Dämmerung
erschien, wurde ihm
klar dass er dem falschen Bache gefolgt war. Statt nach Nordosten, fuhr
er
genau gegen Süden... Das Benzin reichte noch
aus um kehrt zu machen
und im richtigen Bach bis genau auf die Wasserscheide zu fahren. Im
hellen
Morgenrot sah man die Mäander des Flusses Chanka - Tarida und dahinter die endlosen verschneiten
Hügel. Noch 60 km bis zu einem
kleinen
Zelt aus Segeltuch, wo man sich aufwärmen und ausruhen kann, und
dann noch 20
km bis nach Hause. Da, an der
Türschwelle, steht Tanja und schaut
nach Süden... Sascha ließ das
Schneemobil an einem großen
Felsblock stehen und setzte seinen Weg zu Fuß fort. „Ich komm`,
ich komm`, ich
komme bald zu meiner Liebsten heim!“ Der eisige Wind blies ihm
direkt ins Gesicht.
Bart, Schal und Pelzbesatz der Kapuze waren bald zu einer eisigen
Kruste
zusammengefroren, doch beim marschieren kann einem auch der schlimmste
Frost
nichts anhaben, wenn man richtig angezogen ist. Nur Saschas Händen
wurde es in
den Fäustlingen immer kälter. Da riss er ein Stück
seines Schals ab, wickelte
die Teile um die Fäustlinge und steckte diese unförmigen
Pranken in die Taschen
seines Anoraks. So war es besser! Für die 60 km
bis zum Zelt, dem „Notquartier“,
brauchte Sascha 20 Stunden. Der Wind lies nicht nach, er blies und
blies mit
derselben Kraft und es schien, als ob die Tundra sich bewegte und
atmete
eingehüllt in einen Mantel von eisblauem Schneestaub. Vertrautes
Bild, doch
es verzaubert einen immer wieder. Das
zarte Morgenrot wurde immer heller, aber bis zum Sonnenaufgang sind es
noch gut
zehn Tage.
Das Zelt. – voller Schnee. Eine Wand zerfetzt.
Wölfe, oder? Gut, der Ofen in Ordnung. Die Holzscheite lagen
säuberlich
aufgeschichtet da, darunter ölgetränktes Papier gegen die
ewige
Tundra-Feuchtigkeit. Alles fertig zum Anzünden. Das Feuerzeug!
Sascha
durchwühlte die Taschen. Wo mag es sein? Genau – bei Nikolai
vergessen... Na
gut. Neben dem Herd in der Plastiktüte - eine Schachtel
Streichhölzer mit Stein
beschwert.
Es sind einige Minuten verstrichen, ehe er die Fäustlinge ausziehen konnte. Hände – steifgefroren. Nicht zum ersten Mal hatte sie der Frost erwischt. Die Finger konnte er kaum bewegen, die Plastiktüte musste er mit den Zähnen zerreißen. Mit Mühe konnte er die Schachtel in den Fingern halten, aber ein Streichholz rauszunehmen und anzünden – das schaffte er nicht. Ein Streichhölzchen nach dem anderen fiel in den Schnee... Um seine Finger zu erwärmen saugte er an ihnen und biss an ihnen mit den Zähnen herum. Vergeblich. Für fühllose, angefrorene Finger sind Streichhölzer einfach zu klein. Ach Tanja, deine Finger, deinen Atem bräuchte ich jetzt! Als Sascha eingesehen hatte, dass er kein Feuer zustande bringen würde, legte er sich auf die Rentierfelle in der Ecke und schlief sofort ein. Eine Stunde oder eine Minute geschlafen, es war ihm unklar geblieben, aber Sascha erwachte in klarer Erkenntnis, dass er am Erfrieren war... Aufgeschreckt, presste er sich mit dem ganzen Körper gegen die eiserne Ecke des Herdes und mit einer raschen Bewegung zerriss den Anorak an der Brust, so, dass die Knöpfe dafonsprungen und die Lehne herausfiel. Die Hände stopfte er unter die Achseln. Trotz Fieber und Schüttelfrost war er glücklich, das Pochen in den Fingerspitzen zu spüren. ...Langsam, als gehe er
durch Wasser, bewegt
sich ein Mann in der Tundra vorwärts. Zuerst rastet er an jeder
dritten Falle,
dann an jeder zweiten, dann nach jeden dreihunderten Schritt. Schließlich legt er
sich in den Schnee und
starrt in den kalten Himmel. Durch die dünne Wolkendecke bricht
das Nordlicht,
der unbarmherzige Wind fährt ins Gesicht, streicht über den
Boden. Keine
Stuhllehne mehr im Anorak, kein Gewehr über die Schulter, das
Zellophan um die
Blumen zu Staub zerfallen... „Nicht einschlafen... nicht... nicht...
nicht“ –
hämmert`s im Kopf. Manchmal stolpert der Mann
und fällt um, na dann
schon gut – er bleibt ein wenig liegen... Doch immer wieder steht er auf und schleppt sich weiter bis zur
nächsten Falle. „Ich eil`, ich eil` ich eil zu dir...“ Wahrscheinlich zum
tausendsten Mahl in dieser
Woche ging Tanja vor die Hütte und horchte in die Stille hinaus.
Am Morgen des
25. Januar, als die Dämmerung Ihren Höhepunkt erreichte und
Himmel und Hügel
voneinander trennte, ertrug sie ihre böse Vorahnungen nicht
länger. Am
vorbeigehen warf sie einen Blick aufs Thermometer. Minus zweiundvierzig. Schon gut. Zweiundvierzig – nicht
fünfzig! Nur unwillig ließen
sich die Hunde vor den
Schlitten spannen. Aber dann erwärmten sie sich und liefen munter
den bekannten
Weg an den Fallen entlang. Nach etwa einer Stunde wendete der Leithund
in einer
so jäher Bewegung, dass Tanja fast aus dem Schlitten fiel, und
begann zu
heulen, seinen Kopf dem Mond zugewandt: Ein Mann kniete im Schnee
und versuchte mit
ungeschickten Bewegungen seine Pelzmütze aufzuheben, die ihm vom
Kopfe gefallen
war. „Ein Betrunkener hier, in
der Tundra? O, Gott,
das ist doch... „Sascha? „Sascha!“ Langsam erhob er den Kopf.
Sein Atem ging
stoßweise und zerstob in Eisperlen in der Luft. „Sascha!!!“ Keine Antwort – ein
Stöhnen. Sein Gesicht – eine Maske
aus Eis. Hände - im
Schal eingewickelt, Pullover – zerfetzt, ohne Schneemobil, ohne Gewehr,
am
Gürtel die leere Messerscheide. „Ach Sascha, Sascha...
Komm, Liebling, komm her,
gib mir deine Hände, ich wärme sie unter meiner Parka auf,
auf meiner Brust.“ Eine gute Weile stehen sie
da, Mann und Frau,
mitten in der Tundra fest aneinandergeschmiegt. Dann setzte er sich in
den
Schlitten, sie stellte sich auf die Kufen. ““Marsch, marsch, aj – ja
– a!“ Welche Gnade aus der
Kälte in einen warmen Raum
zu kommen und den Geruch des frischgebackenen Brotes einatmen! Schnell – die Hände
des Mannes ins kalte Wasser,
einen Eimer Kohlen in den Herd, den Teekessel aufs Feuer. „Ach Sascha, Sascha“,
langsam löste sie die
Stücke des Eispanzers von seinem Gesicht, befreite den Bart von
dem Kragen des
Pullovers, an dem er festgefroren war. Und, als sie ihm den Anorak
über den
Kopf zog, fielen die Nelken heraus. Zerdrückt, zerbrochen,
schwarzgefroren... „Danke, danke, mein
Liebster...“ Leise beginnt sie zu
weinen. Das Gesicht ihres
Ehemannes ist in der Wärme aufgedunsen, statt der Augen – kleine
Schlitze, am
Hals – Rote Flecken und dicke angefrorene Lippen. „Wie du aussiehst, Lieber,
so schrecklich,
wulstlippig... Ganz wie der große Häuptling Tschaka Zulu.
Das Schönste, das
beste Geburtstagsgeschenk bist du, mein Schneedrachen.“ Der Schneedrachen, das
Schneemonster, der große
Häuptling Tschaka, der Liebster und Einziger brummt etwas vor sich
hin und
schlürft heißen Tee, die Tasse unsicher in den
dickgeschwollenen knallroten
Händen haltend. Und wieder sieht sie ihn
vor sich, wie er bei
der Schneewehe kniet und nach seiner Mütze angelt. Die Tränen
tropfen ihr in
den Tee, sie setzt sich neben ihn hin, Wange an Wange: die eine vom
Herdfeuer
gerötet, die andere mit Frostbissen übersät. Die Tasse
entgleitet ihm und fällt
auf den Boden: Sascha ist eingeschlafen. Tanja geht hinaus,
füttert die Hunde, bringt
noch Kohlen rein und hebt die zerdrückten, schwarzen Blumen vom
Boden auf. Sie
streicht den Straus zurecht und stellt die Blumen in ein hohes Glas.
Vielleicht
würden sie sich erholen. Es ist dunkel und still,
der Feuerschein spielt
auf den Wänden, der Wind fährt übers Dach. Tanja löscht die
Petroleumlampe, zieht sich aus
und legt sich neben ihrem Mann hin. Die dunkelblauen Schneewehen vor
dem
Fenster scheinen sich zu bewegen, zerfließen, werden
größer. Eiskörner prasseln
gegen die Fensterscheiben, als ob sie Einlass begehren in die
Behaglichkeit und
Stille der Hütte. Ein Schneesturm kommt auf. „...Lieber Gott! Ich kann
nicht beten, hab`s
nicht gelernt. Aber meine Seele ist voll, so übervoll Dankbarkeit,
dass DU mir
die Angst, die Vorahnung ins Herz gelegt hast, damit ich zur rechter
Zeit
komme. Lass uns auch zusammen alt werden, bitte, zusammen...“ Jetzt ist Zeit, die Beiden
alleine zu lassen.
Ich kann nur hinzufügen, dass eine Blume überlebt hat. Keine rote, eine
weiße. Und Sascha feiert jetzt
immer seinen zweiten
Geburtstag: Den Tatiana – Tag. „Ich komm`, ich komm`, ich
komme bald zu meiner
Liebsten heim!“
W.
Eisner. |