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Interview und Gespräch mit Wolfgang Templin:
„Ich wünschte, es gäbe ein Deutschland,
das sich ein bisschen weniger mit sich selbst beschäftigt.“ 

„Das internationale Lexikon der Opposition und Dissidenz“,
die heutige Menschenrechtssituation in der Bundesrepublik Deutschland
und das Leben von Templin selbst.

Темплин

Auf dem Foto:  Wolfgang Templin

 
Das Interview wurde bei einer der Ukraine gewidmeten Veranstaltung Anfang 2008
in Bad Nauheim aufgenommen.


TSCHERNOW: Ich habe eine Frage…

TEMPLIN: Ob ich nur auf Deutsch antworten kann?
Ich kann auch auf Polnisch. Meine Sprache ist Polnisch.

TSCHERNOW: Ich habe ein schlechtes Deutsch,
ein mittelprächtiges Ukrainisch und ich kann Russisch.
Ich versuch es jetzt mal auf Deutsch.

TEMPLIN: Wunderbar.

TSCHERNOW: Wenn ich es richtig verstanden habe,
waren Sie Menschenrechtler in der ehemaligen DDR.

TEMPLIN: Ja.

гдр


TSCHERNOW: Nach dem Zerfall der DDR ist ja im Bewusstsein
und im Verständnis der Situation ein gewisser Leerraum entstanden.
Was sind Ihre Beobachtungen, wie sich die Situation der Menschenrechtler
und der ganzen Aktivitäten, die sich mit den Menschenrechten befassen,
vor und nach der Wende entwickelt hat?
 
TEMPLIN: Also, in allen Ostblockländern gab es eine Opposition oder
Dissidenz, und  in allen Ostblockländern war diese Opposition
bzw. Dissidenz sehr klein, eine Minderheit. Das einzige Land,
in dem sie größer war und wurde, war Polen. Und diejenigen,
die in den verschiedenen Ländern zur Opposition bzw. Dissidenz
gehörten, mussten sich 1989 und danach die gleiche Frage stellen:
Was machen wir jetzt? Wo ist unsere neue Aufgabe?
So, und ich sehe verschiedene Antworten, und eine davon ist meine.
Die einen aus der ehemaligen Opposition oder Dissidenz sagten:
Wir müssen jetzt gestalten. Also: wir gehen in die Politik, das heißt,
die Machtpolitik. Das sind dann die Leute, die z.B. in der Ukraine,
… und andere, in die Parlamente gingen. Die in Russland versuchten
als Opposition…in Russland ist´s ja noch schwieriger…
aber die dann z.B. in Polen mit der Solidarnoszcz-Opposition
die neue Regierung stellten. Ich habe auch beispiele von meinen
alten Freunden, die in die Politik gingen. Oder auch ein Beispiel
wie Vaclav Havel in der Tschechoslowakei.

ряд героев

 Auf dem Foto: Skulpturen aus der Sowjetzeit aus einer Privatsammlung in Charkow

Ich sehe aber auch in allen Ländern und bei uns auch in der DDR
stärker die Tendenz: wer vorher Dissident und Oppositioneller war,
ist eher ein Typ, der nicht in die große Politik passt.
Das sind andere Eigenschaften. Das heißt, die Aufgaben, die ich mir
dann gewählt habe, und viele meiner Freunde, und eben auch in anderen
Ländern, sind zwei oder drei ganz wichtige: Mit dafür zu sorgen
oder dafür einzutreten, dass diese neuen Demokratien oder
in Deutschland halt diese Vereinigung [von West und Ost],
dass die Qualität von Demokratie – und die machen für mich nicht
die Institutionen aus, sondern die Demokraten – dass diese Qualität
nicht sinkt, sondern möglichst steigt.

ленины

Auf dem Foto: Skulpturen aus der Sowjetzeit aus einer Privatsammlung in Charkow

Der zweite, ganz wichtige, Punkt ist die Verantwortung gegenüber der Geschichte.
Mit einer Demokratie, die kein Gedächtnis hat, keine Erinnerung,
vor allem wenn es mal Diktaturen gab . das ist ne halbierte.
Weil die Frage, welche Werte, welche Fundamente habe ich,
die hängen mit einer solchen Auseinadersetzung zusammen in all
den Ländern. DDR, das beste Bespiel, hat sich die ehemalige Opposition
an die Spit6ze der Bewegung gestellt, die gesagt hat:
Wir müssen uns mit der kommunistischen Diktatur auseinandersetzen.
Archive auf, die Akten in Deutschland, das gute Beispiel.

Wir können nicht so tun, als wären 40 Jahre Kommunismus
in Deutschland einfach erledigt. Wir müssen die Biografien aufarbeiten,
wir müssen fragen, wie es dazu kommen konnte, und wir müssen
nach der Verantwortung des Westens auch noch einmal fragen. 


стена


Letzte Woche habe ich eine tolle Postsendung bekommen aus Polen,
die wiegt fünf Kilo. Das sind zwei Bände:
„Das Internationale Lexikon der Opposition und Dissidenz“.
Und wer hat es geschrieben? Oppositionelle und Dissidenten.
Das war ein irres Unternehmen, ich habe vor zwölf Jahren
den Anfang erlebt. Wir haben uns in der Nähe von Warschau getroffen.
Die Netzwerke funktionieren, das war im Jahr 1995, da haben sich
ehemalige Oppositionelle und Dissidenten aus über 20 Ländern getroffen,
die sich überlegten: „Haben wir eigentlich noch einen gemeinsamen
Bezug? Welches Aufgaben haben wir?“  Eine der Ideen war:
Wir müssen aus jedem Land des Ostblocks eine repräsentative Auswahl
von Oppositionellen vorstellen und zeigen, dass es eine internationale
Bewegung war. Die Polen kannten die Tschechen, wir kannten die Russen,
wir versuchten, Kontakte aufzunehmen, und für jede dieser Biografien
gilt, dass es nicht nur im Land war. Und das war ein Riesenunternehmen.

два белоснежных

Auf dem Foto: Skulpturen aus der Sowjetzeit aus einer Privatsammlung in Charkow

Für Russland hat „Memorial“ die Aufgabe gehabt,
für Polen eine Organisation, die hieß „Charta“,
für die DDR und ihre Oppositionellen waren das Initiativen,
die ich selber mitgegründet habe nach 1989,
z.B. die Habermann-Gesellschaft, und was jetzt entstanden ist,
ist ein Werk aus 1600 Seiten, wo ich jedes Land vorgestellt habe.
Russland hat 70 Oppositionelle, die vorgestellt werden,
Sacharow inklusive. Polen hat 60, die Ukraine - die Sowjetunion
wurde ja nach Nationalitäten gruppiert – 40, die DDR, glaube ich, 17.
Das, denke ich, ist eine Arbeit, die Historiker braucht,
die waren auch dabei, und die ehemaligen Oppositionellen.
Und ich habe mich unheimlich gefreut, dass das jetzt endlich da ist.

нет буржуям

   Kommunistendemonstration in Charkow (2004).
Auf dem Transparent. „Nein zur Bonzendiktatur!“

Die dritte Aufgabe ist jetzt die wichtigste.
Das ist für die Opposition damals nicht eingetreten und
auch jetzt ist es noch nicht gelungen, dass es passiert,
dass wir endlich ein ungeteiltes Europa haben mit allem,
was zu diesem Europa gehört.
Da gibt es ein wunderbares Motto, was jemand aus der Timoschenko-Partei
gesagt hat: „Europa von Lissabon bis Luhansk.“
Das heißt, der Teil Europas, der immer noch ausgesperrt ist,
wird dazu genommen. Da kann man natürlich auch nach dem rechten
Verhältnis Europas zu Russland fragen, und in diesem Prozess
sind wir mittendrin.

два ленина

Auf dem Foto: Skulpturen aus der Sowjetzeit aus einer Privatsammlung in Charkow
 zusammen mit der Skulptur der „Neuen Zeit“…

TSCHERNOW: Das Problem der Menschenrechte ist ja ein ewiges Problem.
Was ist Ihrer Meinung nach die heute anstehende Aufgabe diesem Kontext?

TEMPLIN: Ich glaube, es ist mit den Menschenrechten wie mit
der Demokratie. Och muss Normen haben, ich muss Institutionen haben
und ich muss Personen, ich muss Menschen haben, Individuen,
die dafür eintreten, dass das auch so funktioniert.
Also, eine Demokratie, die Institutionen hat, die Regeln hat und
keine Leute, die bereit sind, diese Regeln zu verteidigen und
einzuhalten – das geht daneben. Und mit den Menschenrechten ist es,
denke ich, ähnlich, weil – das ist ja beides ein sehr hoher Anspruch.

Wenn ich die normale Menschennatur nehme,
die neigt da zu ganz anderen Dingen.

npd

Ein Wahlplakat der „Nationaldemokratischen Partei Deutschlands“
während des Wahlkapfes im Land Hessen.
Sinngemäß: Nur Deutsche sollen Sozialleistungen vom Staat bekommen.



Das ist wahrscheinlich auch der Wert der Erfahrung dieser
Oppositionsbiografien, wenn einem die Freiheit und die Menschenrechte
so lange weggenommen wurden und man so lange erlebt hat,
wie arrogant und wie brutal eine Macht sein kann, dann ist
das Gespür dafür, was man tun muss, damit das nicht wieder passiert,
auch in der Demokratie sehr deutlich.


демос

Kommunistendemonstration in Charkow (2004)


Und da kenne ich jemanden, er ist ein Freund von mir,
auch ein ehemaliger Oppositioneller
und Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, der ist,
denke ich, in seiner Arbeit gar nicht schlecht, aber wenn der
z.B. sagt, das in Guantanamo, was dort passiert, das ist nicht
so schlimm, dann sage ich: Tut mir Leid. Da streike ich.
Das ist genauso abscheulich und das darf sich eine Demokratie
oder in einem Land, das eine Demokratie sein will, wie den USA,
nicht leisten. Und wenn ich Menschenrechtsbeauftragter bin,
dann kann ich nicht nur auf die Russen losgehen, dann muss ich
das den Amerikanern genauso sagen. Und die haben eine ziemlich
lange Liste, wo sie brutal gegen die Menschenrechte verstoßen haben.
Wenn’s um ihren Geheimdienst oder z.B. die Diktaturen in Südamerika
geht. Insofern ist das ein sehr hoher Anspruch.

TSCHERNOW:
Und noch eine Frage:
Wie sehen Sie die Menschenrechtssituation in Deutschland?

TEMPLIN: Also, ich glaube, dass… ich sage jetzt die Bundesrepublik,
ich bin ja spät zur Bundesrepublik gekommen, die haben einen guten
Weg gemacht, aber die haben sich auf ihren Lorbeeren ausgeruht.
Ich fragte immer so als Ossi in Runden wie hier: Was ist das größte
Kapital der Bundesrepublik? Und dann kam so etwas wie
die wirtschaftlichen Errungenschaften, die stabilen Institutionen,
die starke D-Mark. Die Demokraten, also das herz der Demokratie
und was man dafür tun muss – viel zu wenig. Und ich glaube,
dass diese Haltung der Bundesrepublik dazu geführt hat,
dass manche Aufgaben, die mit Menschenrechten
zu tun haben, nicht getan haben.

woh

Auf dem Foto: Satellitenschüsseln auf der Fassade
des ehemals meinen (W.T.) „Ausländerwohnheims“.


Zum Beispiel: Sie haben Millionen Menschen mit
anderem Hintergrund aufgenommen und haben sich nicht um
ihre Integration bemüht. Haben gedacht: „Mein Gott, die sind da
und das wird sich irgendwie erledigen!“ Das sind fundamentale
Menschenrechte, man kann keine Bürger erster und zweiter Kategorie
haben oder so etwas. So, und für mich haben Menschenrechte eben
auch eine soziale Komponente. Wenn es zu ungerecht zugeht,
ist die Demokratie gefährdet.
 
rau

Auf dem Foto: Der Waschraum des ehemals meinen (W.T.) „Ausländerwohnheims“


Auch das Recht auf Würde und Beteiligung
an einer Gesellschaft gehört zu den Menschenrechten, und wenn ich
eine soziale Entwicklung fördere, die große Menschengruppen ausschließt
- tut mir Leid, also! Ich bin kein Anhänger der Linkspartei, aber…

duld


Das dritte ist die Frage nach dem Überwachungsstaat, wo ich eben
auch sehr sensibel bin. Da ist mir auch zu viel
in einer bestimmten Richtung.

TSCHERNOW: Also, mehr Beobachtung, aber weniger Rechte.

TEMPLIN: Richtig. Genau so.

TSCHERNOW: Sie sehen also, dass diese Einwanderungsproblematik in
Deutschland auch viel mit der Menschenrechtsproblematik zu tun hat.

TEMPLIN: Richtig.

TSCHERNOW: Die praktische Situation ist so, dass sicheienneue Hierarchie
ausgebildet und etabliert hat.

TEMPLIN: Eben. Und das muss nicht sein und das ist nicht gut. 
Aber – darf ich ncoh eine Frage stellen?

TSCHERNOW: Ja.

TEMPLIN: Was Sie machen, beide [Vater und Sohn].
Würde michs ehr interessieren.


TSCHERNOW:
Ich bin Journalist… Ich bzw. wir haben eine eigene Homepage,
ein Onlineperiodikum...
 Und ich habe früher bei einer russischen Regionalzeitung gearbeitet...

TEMPLIN: Welcher, wenn ich fragen darf?


TSCHERNOW:
“LDK auf Russisch.“ Die wurde in der Region Wetzlar,
im Lahn-Dill-Kreis herausgegeben…

TEMPLIN: Ach so, ich  verstehe…


TSCHERNOW:
Ich hatte in dieser Zeitung eine eigene Seite – allerdings keine politische.
Die hieß „Kultur und Alltag“, wi ejetzt mein Periodikum.
Gleichzeitig aber war und bin ich stellvertretender Vorsitzender
des Ausländerbeirats Wetzlar.

TEMPLIN: Ach ja. Das ist natürlich toll.

TSCHERNOW:
Und ich arbeitete auch in der Mediengruppe
„Arbeitsgemeinschaft der Ausländerbeiräte Hessens“ (AGAH).

TEMPLIN: Ach ja. Und Sie [der Sohn]?

TSCHERNOW Alexandr: Ich bin Übersetzer in spe.
Im Moment allerdings studiere ich mein Handwerk noch an der Universität Mainz.

TEMPLIN: Also Russisch – Deutsch?

TSCHERNOW Alexandr: Nein, das mit Sicherheit nicht.
Zurzeit studiere ich Englisch und Niederländisch mit Deutsch als Ausgangssprache.
Aber es werden noch ein paar mehr Fremdsprachen dazukommen.
Aus dem orientalischen Bereich. Dann ist es auch nicht ausgeschlossen,
das sich quasi „von der anderen Seite“ mit Russisch in Berührung komme,
eben wegen der geografischen Lage der entsprechenden Länder Eurasiens.

 koch
 

Auf dem Foto: Der Wahlkampf im Land Hessen (2007-2008)



TEMPLIN: Ah ja. Aber wenn ich noch eine Frage haben darf:
Wo sehen Sie [Vater] den besten Weg zur Lösung der politischen Krise in Hessen?
[Pause] Ist aber wohl fast genauso schwer wie die Frage
nach dem politischen Schicksal der Ukraine [lacht].

ko

Auf dem Foto: Der Wahlkampf im Land Hessen.
Ein Fragment des gleichen Plakates wie oben.
Das „Hitlerbärtchen“, ein auf Koch-Plakaten
oft vorkommender „Ausruf“, ist sorgfältig weiß übermalt worden.
Ein „Ausruf“ seiner Anhänger als Antwort auf den der Gegner.
Plakate von kleinerem Format als dieses wird von den Anhängern erneuert,
um öffentlich sichtbare „Diskussionen“ zu vermeiden.



TSCHERNOW: Ist auch eine ähnliche Situation. In Hessen haben wir eine konservative
und nicht besonders ausländerfreundliche Regierung, um es vorsichtig auszudrücken…

 ko

 Auf dem Foto: Der Wahlkampf im Land Hessen.
Ein Fragment vom gleichen Plakat wie oben mit einem bereits „beantworteten“ „Ausruf“.



TEMPLIN: Ich weiß. Deswegen hat Ypsilanti auch meine
Sympathien. Ich habe Koch nie leiden können.

ko


TSCHERNOW:   Koch hat meiner Meinung nach mehr Erfahrung in der Politik als Ypsilanti,
was ihn aber trotzdem nicht rechtfertigt. Und was die Situation angeht,
dass die Stasi-Vergangenheit der heutigen Linkspartei viele Möglichkeiten nimmt
– das ist nicht so gut. Eine Koalition der heutigen Linken und der SPD wäre
nichts grundsätzlich Schlechtes, Vergangenheit hin oder her
 – denn schließlich hat meiner Meinung nach keine Partei eine wirklich gute Vergangenheit…

 
yps


TEMPLIN: So etwa stand mir auch vor Augen.
Dann lag ich also nicht ganz falsch mit meinen Vermutungen…

TSCHERNOW: Ja. Selbstverständlich hat die Linke eine etwas lange Geschichte,
die mit der Stasi zu tun hat. Aber in allen Ostblockländern ist es
mit vielen Parteien und Politikern ähnlich.

TEMPLIN: Ja. Für meine Wahrnehmung und Empfindung liegt das Dilemma tiefer.
Wenn die SPD eine sozial verantwortliche Politik gemacht hätte,
wäre die Linke nicht so stark geworden. DAS ist das Problem.

TSCHERNOW: Meine Meinung. Etwa deutlichere Schritte wären angebracht in dieser Situation...

линки

 
Auf dem Foto: Der Wahlkampf im Land Hessen (2007-2008)


Im Verlauf des Interviews wurden auch zahlreiche Fragen aus dem Publikum gestellt.
Einige davon und die Antworten darauf sind im Folgenden wiedergegeben.

FRAGE: Wo leben Sie?

TEMPLIN: In Berlin.

berlin

FRAGE: 
Sind Sie Marxist?

TEMPLIN:
Ich war mal überzeugter Marxist.

капитал

FRAGE: 
Sind Sie heute noch eigentlich Marxist oder nicht?

TEMPLIN: Nein. Ich bin bis heute, glaube ich, ein Linker, wenn es um das Soziale geht,
aber ich glaube nicht mehr an die Rezepte von Marx.

маркс

Auf dem Foto: Skulpturen aus der Sowjetzeit aus einer Privatsammlung in Charkow

FRAGE:
Aber Sie sind kein Anhänger der Linkspartei?

TEMPLIN: Nein, das geht für mich nicht. Ich stand den Grünen ziemlich nahe. Ich würde mich irgendwo zwischen Grünen und SPD einordnen. Ich bin ein Linksliberaler, so würde ich sagen.

FRAGE: Manchmal aber scheinen Sie in dieser Richtung zu tendieren.

TEMPLIN: Ja, manchmal, aber die sind mir zu normal geworden.
Für einen alten Dissidenten sind sie zu normal.
Ich war bei Bündnis 90, bei dieser Neugründung.

FRAGE: Waren Sie in Haft oder nicht?

TEMPLIN: Ja, das war ich. In dem Stasi-Gefängnis von Hohenschönhausen.
Und dann hat man mich in die Bundesrepublik geschmissen, Anfang 1988.
Dann kam ich zu einer Dissidentengruppe in Luxemburg. Ihr Leiter und ich, wir hatten…

FRAGE:
sich geschrieben in der DDR-Zeit?

TEMPLIN: Ja. Und einen eigene Menschenrechtsgruppe gehabt.
Das war diese „Initiative Frieden und Menschenrechte“.
Mit dieser Gruppe hatten wir Kontakte nach Polen und nach Russland,
ich habe schon damals mit den russischen Leuten von „Memorial“ Kontakte gehabt.

 kassel

Auf dem Foto: Das sowjetische Thema auf der Documenta in Kassel.
Fragment der Fotoinstallation „Der Springbrunnen“
 (Der Springbrunnen der Ausstellung der Errungenschaften der Volkswirtschaft der UdSSR)



FRAGE: Ich habe mal ein Analyse gelesen, die sagt, in der ehemaligen DDR
seien heute 37% der Bevölkerung gegen die ehemaligen
Westdeutschen, und genauso umgekehrt.

TEMPLIN: Ah ja.

FRAGE: Vielleicht hätte es auf der ostdeutschen Seite besser sein können,
wenn nicht so viele durch die Wiedervereinigung ihre Position verloren hätten.

TEMPLIN: Ja genau, das ist es. Die alte Nomenklatura, die ist heute weitgehend entmachtet.
Und das waren ja nicht nur die Alten. Ich habe das ja an der eigenen Biografie erlebt.
Ich hätte ein Teil der DDR-Elite werden können. In den 80er Jahren hätte ich
eine Professur an der Uni haben können. Ich habe mich anders entschieden.
Ich bin dann den für mich besseren Weg gegangen, nämlich den in die Dissidentengruppen,
habe dann natürlich den Job verloren, es war ja von vornherein klar.

FRAGE: Haben Sie da als Dozent gearbeitet an der Universität?

TEMPLIN:: So weit kam es nicht. Ich war Absolvent und habe dann in der 80er Jahren
Polen und die Solidarnoszcz kennen gelernt. Und seit der Zeit hat mich der polnische
Virus angesteckt. Aber dann musste ich erst mal auf die andre Seite, die DDR-Seite.
Bei der Stasi habe ich ein paar Meter Akten. Der Namen meines Vorgangs heißt
„Verräter“. D.h., ich habe die Seiten gewechselt. „Verräter“ heißt: Ich war mal auf
ihrer Seite und habe die Seiten gewechselt.
Die hatten Phantasienamen für alles Mögliche.

FRAGE: Was machen Sie jetzt im Moment?

TEMPLIN: Ich bin freier Autor.

FRAGE: Irgendwelche speziellen Anliegen für die heutige Zeit?

TEMPLIN: Ich wünschte, es gäbe ein Deutschland,
das sich etwas weniger mit sich selbst beschäftigt.

fl

Sie habe eine Situation, die ist gar nicht so schlecht.
Deutschland müsse positiv sein und internationale Verantwortung wahrnehmen,
darauf wartet ganz Osteuropa. Ich denke, dass europäische Integration
ohne Deutschland unmöglich ist. Die anderen sind ja auch nicht unwichtig,
wie zum Beispiel Frankreich und England, aber wenn sich zum Beispiel Deutschland
enger mit Polen verbinden würde, dann wäre das DER Reformmotor für weitere
Integration im Geiste dessen, was 1989 angefangen hat.

fl


1989 ist für mich insgesamt ein absolut positives Datum, wie auch das,
was wir danach gewonnen haben, die Demokratie und die Freiheit,
dass ich mich überall völlig ungehemmt bewegen kann, mir überlegen kann,
welche Partei ich wähle, dass ich ungehemmt auf Putin schimpfen kann.
Oder auch auf Stoiber. Dass ich getrost äußern kann,
dass er bei mir eine Fünf bekommt.
 
FRAGE: Wer waren Ihr Eltern?

TEMPLIN: Mein Vater war sowjetischer Militär.
Das ist auch noch eine andere Geschichte,
das war  einer verbotenen Liebe in der DDR.
Ich bin 1948 geboren in Jena.


Темплин

 
Auf dem Foto: Wolfgang Templin



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